Einführung softwaregestützter standardisierter Notrufabfrage: Erfahrungen bei der Durchführung einer Datenanalyse mittels KNIME
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Leitstellen sind ein wichtiges Bindeglied zwischen Hilfeersuchendem und Hilfeleistenden. Die vorliegende Untersuchung stellt exemplarisch einen Ansatz zur Analyse von Leitstellendaten vor dem Hintergrund der Einführung eines Systems zur standardisierten Notrufabfrage dar. Konzeptionell hergeleitet werden zwei Kenngrößen für die Analyse von Leitstellenprozessen. Die Untersuchung wird unter Nutzung der Software ’KNIME’ durchgeführt und die Ergebnisse werden interpretiert. 1 Motivation und Forschungskontext 1.1 Historische Entwicklung der standardisierten Notrufabfrage Die Leitstelle ist in der Gefahrenabwehr in unterschiedlichen Ausprägungen und Zusammenhängen das Bindeglied zwischen Hilfeersuchendem und Hilfeleistenden. In der medizinischen Gefahrenabwehr bildet sie einen zentralen Punkt der "chain of survival", d. h. sie nimmt eine wichtige Funktion war, um Leben zu retten oder Gesundheitsschäden abzuwenden (vgl. [AK10]). Erst durch eine reibungslos funktionierende Leitstelle kann eine schnelle professionelle Hilfeleistung ermöglicht werden. Ziel einer Notrufbearbeitung ist es, eine dem Hilfeersuchen entsprechende Systemreaktion auszulösen. Hierzu gilt es, die Notfallsituation möglichst gut zu erfassen. Das Abfrageergebnis des Leitstellendisponenten sollte möglichst genau der realen Situation entsprechen. Eine Unterstützung dieses Prozesses ist in der standardisierten Notrufabfrage zu sehen. Auch kann durch ein standardisiertes Verfahren die Dauer der Abfrage im Sinne einer Informationsgrenzwertbetrachtung optimiert werden. Bereits in den frühen 70er Jahren ist in amerikanischer Fachliteratur ein erster Diskurs über eine Standardisierung der Notrufabfrage zu beobachten. Im Blickpunkt des Interesses lag die Rechtssicherheit und Vergleichbarkeit von Abfrageergebnissen durch Disponenten. Historisch gesehen ist ein auslösender Moment für die Entwicklung von Systemen zur standardisierten Notrufabfrage eine Notrufbearbeitung im Jahre 1975. In diesem Jahr gibt der Leitstellendisponent Bill Tune in Phoenix, Arizona einer Mutter, die wegen ihres nicht mehr atmenden Babys den Notruf wählt, eine Anleitung zur erfolgreichen Wiederbelebung ihrer Säuglings. Aufgrund dieser Beobachtung weißt der Fire Chief Allen Brunacini seine Disponenten an, bei jedem Notruf Hilfestellung zur Hilfeleistung anzubieten [ZP95, BM10]. Diese Hilfestellungen erfolgen jedoch noch ohne feste Vorgaben oder ein System. Zusammenfassend sind die Anfänge der standardisierten Notrufabfrage folglich zunächst in der strukturierten Anleitung zur Hilfeleistung zu sehen [ZP95]. Ein Aspekt der Anleitung zur Hilfeleistung ist das korrekte Erkennen der Notsituation. Nur wenn lebensbedrohliche Situationen oder Erkrankungen während der Notrufbearbeitung erkannt werden, kann zur adäquaten Hilfe angeleitet werden. Ein wichtiges Kriterium der Zuverlässigkeit der Verfahren bezüglich solcher lebensbedrohlicher Situationen ist die Erkennung von Kreislaufstillständen und Bewusstlosigkeit. Um die Erkennungsgenauigkeit von Kreislaufstillständen zu steigern wurde im Jahr 1977 ein standardisiertes Verfahren, genannt »Medical Priority Dispatching System (MPDS)«, durch Dr. Jeff Clawson in Salt Lake City eingeführt. Der Grundgedanke des vorgestellten MPDS war, dass mittels ausgewählten Schlüsselfragen die Genauigkeit zur Erkennung von bestimmten Notfallsituation gesteigert werden kann [ZP95]. Diese Schlüsselfragen zielten auf ausgewählte Aspekte der Notfallsituationserkennung ab. Das vorgestellte System prägte die Notrufabfragesysteme des »criteria based dispatch«, im Deutschen bekannt als »Leitfragensysteme«. In den folgenden Jahren konnte durch Untersuchungen gezeigt werden, dass die Verwendung von Schlüsselfragen grundsätzlich geeignet ist um bestimmte Notfallbilder zu detektieren. Dieses System bot jedoch einen großen Nachteil: Der Prozess der Notrufabfrage war nicht vorgegeben und nicht alle Schlüsselfragen mussten abgefragt werden. Der Disponent konnte daher zu einer Dispositionsentscheidung auf Basis unvollständiger Information kommen [Cla97]. Dieser Erkenntnis wurde mit Protokollsystemen Rechnung getragen. Es erfolgte eine feste Vorgabe der zu stellenden Fragen und deren Reihenfolge. Mittels dieser Systeme wurde neben der Anleitung zur Hilfestellung auch die gezielte Priorisierung von Notrufen möglich. Diese Möglichkeit bekam besondere Bedeutung im Zusammenhang mit einem steigenden Missbrauch der notfallmedizinischen Einrichtungen in Amerika. In den folgenden Jahren erfuhren protokollbasierte Notrufabfragesysteme eine starke Verbreitung über ganz Amerika. Im Jahr 1986 erfolgte eine erste Umsetzung des MPDS in eine EDV gestützte Version. Vor diesem Zeitpunkt erfolgte die Abfrage mittels Karten, auf welchen das Protokoll mit Fragen und Anweisungen abgedruckt waren. Das so ermittelte Abfrageergebnis wurde dann in Form eines Einsatzcodes händisch in die Leitstellensoftware eingetragen. In Deutschland etablieren sich derzeit durch die Forderung nach Hilfestellungen zur Wiederbelebung (vgl. [KBB10]) Konzepte zur Telefonreanimation. Systeme zur standardisierten Notrufabfrage sind bis dato nicht flächendeckend im Einsatz. Auf dem Markt verfügbar sind jedoch unterschiedliche Protokollsysteme: SNAP Standardisiertes Notrufabfrageprotokoll1 NOAS Notrufabfragesystem2 AMPDS Advanced Medical Priority Dispatch System3 1.2 Standardisierte Notrufabfrage als Gegenstand der Forschung Die bereits Ende der 70er Jahre beginnende Forschung im Bereich der standardisierten Notrufabfrage richtete ihr Augenmerk zunächst auf die Spezifität und Sensitivität von standardisierten Verfahren zur Erkennung von lebensbedrohlichen Erkrankungen. Hierbei konnte durch Clawson und Sinclair [CS01] gezeigt werden, dass standardisierte Verfahren geeignet sind »Notfallpatienten« von »Nichtnotfallpatienten« zu unterscheiden. Ebenfalls wurde durch Clawson und Sinclair [CS01] gezeigt, dass Anrufer in der Lage sind adäquat auf durch Disponenten gestellt Fragestellungen zu antworten. Die folgende Forschung verlagerte den Schwerpunkt ihres Interesses auf den Bereich der Priorisierung von Notrufen. Hier konnte gezeigt werden, dass die standardisierte Notrufabfrage geeignet ist Notrufe zu priorisieren. Diese Priorisierung erfolgt in den Kategorien »Entsendungsdruck« und »Schwere des Notfalls«.4 In internationalen Studien konnte nachgewiesen werden, dass die standardisierte Notrufabfrage geeignet ist Notfallpatienten zu kategorisieren und zu priorisieren (vgl. [WCM02], [Rei06], [HHJS11], [NED00], [BOR00], [NNS00]). Ebenfalls wurde in der deutschsprachigen Literatur festgestellt, dass durch die standardisierte Notrufabfrage ein Anstieg an Notarzt-Einsätzen generiert wird (vgl. [HHA11] und [TWV06]). Die Forschung in Deutschland beschränkt sich derzeit zumeist auf die Beschreibung von Effekten und Beobachtungen im Zusammenhang mit der Implementierung einer standardisierten Notrufabfrage (vgl. [Kap10]). 2 Fragestellung und Forschungsansatz Aus der oben beschriebenen allgemeinen Rolle von Leitstellen der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr lassen sich zwei konkrete Zielsetzung im Hinblick auf die bestmögliche rettungsdienstliche, d. h. präklinische Versorgung von Notfallpatienten herleiten: Zunächst ist im Hinblick auf den Faktor Zeit eine schnellstmögliche Versorgung sicherzustellen. Durch Studien [AK10] konnte gezeigt werden, dass die Zeit bis zum Eintreten der ersten (professionellen) Hilfeleistung und das Outcome des Notfallpatienten korrelieren. Die 1Hierbei handelt es sich um eine ins deutsche übersetze Version des AMPDS. 2www.noas-gmbh.com 3www.emergencydispatch.org 4Unter Entsendungsdruck ist die Verteilung der vorhandenen Ressourcen auf gleichzeitig auftretende Notrufbegehren zu verstehen. Dauer der Einsatzentscheidung bedingt die frühest mögliche Reaktion des Rettungsdienstes und hiermit den ersten Kontakt zwischen professionellen Helfern und Patient und sollte entsprechend minimiert werden (vgl. [BK02][Hac10]). Die Leitstelle kann hierbei durch kurze Bearbeitungszeiten bis zur Alarmierung geeigneter Einheiten des Rettungsdienstes oder gegebenenfalls durch telefonische Anleitung von vor Ort anwesenden Laienhelfern Einfluss nehmen. Die zweite Zielsetzung bezieht sich auf die Art der Versorgung. Als Bindeglied zwischen Hilfesuchendem und professionellen Helfern und Koordinator des Rettungsdienstes ist die Leitstelle in dieser Hinsicht für eine angemessene Ressourcennutzung und zugleich angemessene Entsendung von Rettungsmitteln verantwortlich. Die genannten Ziele sind Ausgangspunkt für die vorliegende Untersuchung. Operationalisiert lauten sie: (1) Minimierung der Einsatzentscheidungszeit
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